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Frist für Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Familien soll gekürzt werden

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom Dezember 2022 mit Verweis auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Wartefristen beim Familiennachzug nicht mehr strikt anzuwenden sind. Die bislang gültige Frist von drei Jahren ist mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar.

Für vorläufig aufgenommene Familien galten in der Schweiz bislang sehr restriktive Regelungen für den Familiennachzug. Bislang bestand eine gesetzliche Wartefrist von drei Jahren, bis vorläufig Aufgenommene ihre Familienangehörigen nachziehen konnten. Kinder wurden dadurch oft für viele Jahre von ihren Familien getrennt, wie ein Beitrag des Tagesanzeigers eindrücklich aufzeigt.


Das Bundesverwaltungsgericht hat nun seine Rechtsprechung angepasst. Die gesetzliche Wartefrist von drei Jahren soll nun neu nicht mehr strikt eingehalten werden. Der Familiennachzug soll nach zwei Jahren im Einzelfall geprüft werden.


Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrifft eine eritreische Familie. Die Mutter und ihr Sohn, beides eritreische Staatsangehörige, wurden im Oktober 2020 vorläufig in der Schweiz aufgenommen. Im März 2021 beantragten sie beim Staatssekretariat für Migration (SEM) eine Einreiseerlaubnis für den Ehemann und Vater, ebenfalls ein eritreischer Staatsbürger. Das SEM lehnte den Antrag ab, mit der Begründung, dass die gesetzliche Wartefrist von drei Jahren noch nicht abgelaufen war. Die Familie legte daraufhin im Juni 2022 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und berief sich auf Art. 8 EMRK sowie auf ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Juli 2021 (Nr. 6697/18 in Sachen M. A. gegen Dänemark).


In diesem Urteil hat der EGMR die strikte und automatische Anwendung einer Wartefrist von mehr als zwei Jahren als unvereinbar mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Artikel 8 EMRK eingestuft. Demnach müsse nach zwei Jahren im Einzelfall entschieden werden, ob ein verzögerter Familiennachzug mit dem Recht auf Familienleben vereinbar sei. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Intensität der Familienbeziehungen, die bereits vollzogene Integration im Aufnahmestaat, das Bestehen unüberwindbarer Hindernisse für ein Leben der Familie im Herkunftsland und das Wohl des Kindes.


Gemäss Medienberichten prüfe das SEM die Anträge auf Familiennachzug neu bereits nach 18 Monaten. Zudem sei eine Anpassung des Ausländer- und Integrationsgesetzes vorgesehen.


Einschätzung des Netzwerks Kinderrechte Schweiz

Die langen Fristen beim Familiennachzug für vorläufig aufgenommene sind auch mit der UN-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar. Die Schweiz hat denn auch gegenüber Artikel 10 der UN-KRK einen Vorbehalt angebracht, der nach wie vor in Kraft ist. Für vorläufig aufgenommene Personen gilt nicht nur eine Wartefrist von drei Jahren, bis sie ihre Familien nachziehen können – auch nach Ablauf dieser Wartefrist ist der Nachzug nur dann möglich, wenn die Kinder im gleichen Haushalt leben, eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden und die Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist.


Es gilt nun, diese restriktiven Bestimmungen im Ausländer- und Integrationsgesetz anzupassen und das Recht des Kindes auf Familiennachzug künftig vorbehaltslos gelten zu lassen.


Medienmitteilung Bundesverwaltungsgericht zum Urteil F-2739/2022

Beitrag im Tagesanzeiger vom 17.04.2023

Beitrag in der NZZ vom 18.04.2022

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