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Betreuung unbegleiteter Jugendlicher in Bundesasylzentren nicht vereinbar mit UN-Kinderrechtskonvention

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) kritisiert in einem Bericht die Betreuungssituation von unbegleiteten Jugendlichen in Bundesasylzentren (BAZ). Die Kommission hat zwischen Februar 2021 und Oktober 2022 verschiedene Zentren besucht. 

Die Zahl unbegleiteter Jugendlicher, die in der Schweiz Asyl suchen, ist im letzten Jahr stark angestiegen. Diese Zunahme unbegleiteter Jugendlicher wirkt sich negativ auf deren Betreuungssituation aus, wie die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) in einem Bericht an das Staatssekretariat für Migration feststellt. Die Zustände sind nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar, wie die NKVF schreibt.


Bei den unbegleiteten Jugendlichen handelt es sich mehrheitlich um Jungen, die aus Afghanistan geflüchtet sind. Ende Dezember 2022 waren rund 1‘700 unbegleitete Minderjährige in Bundesasylzentren untergebracht.


Ungenügende Betreuung

Die NKVF stellt fest, dass eine individuelle Betreuung der Jugendlichen durch sozialpädagogische Mitarbeitende nicht mehr gegeben war. Tagesverantwortliche sozialpädagogische Mitarbeitende mussten zusammen mit Betreuungsmitarbeitenden zeitweise bis zu hundert Jugendliche betreuen. Der Fokus der Mitarbeitenden lag auf den praktischen Aspekten der Unterbringung der unbegleiteten männlichen Jugendlichen. Die strukturierte Fallarbeit mit dokumentierten Eintritts- und Zwischengesprächen der sozialpädagogischen Bezugspersonen kam dabei zu kurz.


Das Staatssekretariat für Migration (SEM) weist in seiner Stellungnahme zum Bericht darauf hin, dass es deutlich mehr Betreuungsressourcen und eine wesentlich grössere Infrastruktur brauche, um eine adäquate Betreuung sicherzustellen. Aufgrund des Fachkräftemangels bei Sozialpädagog*innen, hätten die Leistungserbringer zudem Schwierigkeiten, geeignetes Betreuungspersonal zu rekrutieren. Aktuell seien in allen Asylregionen über 60 Vollzeitstellen in der UMA-Betreuung unbesetzt. Das SEM will nun die Aufgaben der Sozialpädagog*innen überdenken, sodass mehr Ressourcen für strukturierte Fallarbeit zur Verfügung stehen.


Spezifische Bedürfnisse von unbegleiteten Mädchen

Die Kommission kritisiert weiter, dass die Bedürfnisse unbegleiteter Mädchen neben denjenigen der Jungen oft untergehen. Weibliche Jugendliche werden zwar in in einem Schlafraum mit allein reisenden Frauen oder in einem eigenen Zimmer untergebracht, diese befinden sich oftmals aber im gleichen Trakt wie die männlichen unbegleiteten Jugendlichen. Spezifische Betreuungsangebote für Mädchen sind zudem nicht vorhanden. Die Kommission empfiehlt, alternative Unterbringungsformen für Mädchen zu ermöglichen. Unbegleitete Mädchen sind in jedem Fall getrennt von männlichen Personen unterzubringen, zumindest in einem separaten Trakt und in der Regel getrennt von asylsuchenden Frauen. Das SEM weist darauf hin, dass die vorhandene Infrastruktur und personellen Ressourcen eine strikt getrennte Unterbringung von Mädchen und Frauen nicht zulassen. Auch fehlen personelle Ressourcen, um Mädchen getrennt von Jungen spezifisch zu betreuen. 


Kinderrechte verletzt

Nach Einschätzung der Kommission sind diese Zustände nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar. Eine persönliche und kontinuierliche Begleitung der Jugendlichen ist nicht gewährleistet. Damit werden das Recht auf Berücksichtigung des übergeordneten Interesses des Kindes (Artikel 3) und das Recht der unbegleiteten Jugendlichen auf Ruhe und Freizeit sowie auf Spiel und altersgemässe aktive Erholung (Artikel 31) verletzt.


Die NKVF verlangt vom SEM und den Betreuungsunternehmen, die UN-Kinderrechtskonvention vollumfänglich umzusetzen und das bestehende Betreuungssystem für unbegleitete Jugendliche zu überprüfen und anzupassen. Eine professionelle und kontinuierliche Betreuung muss auch bei hohen Zahlen gewährleistet sein.


Die Kommission nimmt zudem die politischen Akteure, insbesondere Bundesrat und Parlament, in die Pflicht, die entsprechenden Ressourcen für eine adäquate Betreuung bereitzustellen.


Medienmitteilung der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter vom 24.04.2023

Der Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter sowie die Stellungnahme des Staatsekretariats für Migration sind hier abrufbar

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